Hesychasmus

Behausungen von Eremiten am Berg Athos, dem traditionellen Zentrum des Hesychasmus

Der Hesychasmus (altgriechisch ἡσυχασμός hēsychasmós) ist eine Form von Spiritualität, die im Mittelalter von byzantinisch-orthodoxen Mönchen entwickelt wurde. Seine Ausgangsbasis bilden Verhaltensregeln des spätantiken Mönchtums. Der Begriff ist von dem griechischen Wort hesychia (ἡσυχία hēsychía) abgeleitet, das „Ruhe“ oder „Stille“ bedeutet. Mit hesychia verbinden sich die Vorstellungen von Gelassenheit und innerem Frieden. Hesychasten machen die Erlangung und Bewahrung solcher Ruhe zum Ziel intensiver systematischer Bemühungen.

Der Verwirklichung der hesychia dient beharrliches Üben im Rahmen einer speziellen Gebetspraxis. Hesychasten wiederholen über lange Zeiträume mehrmals das Jesusgebet, unter Einsatz einer Atemtechnik zur Förderung der Konzentration. Angestrebt wird der Zustand des völligen Seelenfriedens, der als Voraussetzung für das Erleben einer besonderen göttlichen Gnade gilt: Nach der Auffassung der Hesychasten können Betende das ungeschaffene Taborlicht in einer Vision wahrnehmen. Die Lehre, der zufolge im ungeschaffenen Licht Gott selbst anwesend und sichtbar ist, gehört seit dem Spätmittelalter zum Kernbestand der hesychastischen Überzeugungen.

Ihr Zentrum hatte die mittelalterliche hesychastische Bewegung in den Klöstern und Skiten auf dem Berg Athos. In ihrer Blütezeit im Spätmittelalter breitete sie sich auch in den nördlichen Balkanraum und nach Russland aus. Unter der osmanischen Herrschaft trat die hesychastische Praxis in den ehemals byzantinischen Gebieten in den Hintergrund. Die Tradition brach aber nicht ab und fand auch im russischen Mönchtum der Frühen Neuzeit Fortsetzer. Ab dem 18. Jahrhundert kam es zu einem „neuhesychastischen“ Aufschwung, dessen Folgen in der Orthodoxie weiterhin spürbar sind. Im frühen 20. Jahrhundert knüpfte die Imjaslavie-Bewegung an die hesychastische Tradition an.

Theologisch ist der Hesychasmus eng mit der Lehre seines bekanntesten Vertreters Gregorios Palamas († 1359), dem „Palamismus“, verknüpft. Zu Lebzeiten des Palamas war er umstritten. In den orthodoxen Kirchen hat er sich dauerhaft durchsetzen können, doch außerhalb der Orthodoxie ist er überwiegend auf Ablehnung oder Zurückhaltung gestoßen. Anstoß erregt bei Kritikern seit jeher die Behauptung, etwas Ungeschaffenes und somit Göttliches könne wahrgenommen werden. Dagegen wird eingewendet, das sei wegen Gottes absoluter Transzendenz ausgeschlossen. Kontroverse Debatten dauern bis in die Gegenwart fort. Oft wird der Hesychasmus mit seiner Verheißung eines unmittelbaren persönlichen Zugangs zur Gottheit als Gegenpol und Alternative zu einer diskursiven, mit Ungewissheit belasteten Wahrheitssuche betrachtet. Hesychasten lehnen die Verwendung einer philosophischen Methode in der Theologie ab. Der Einfluss des Hesychasmus und des Palamismus hat in der orthodoxen Welt das Streben nach einer Synthese von Philosophie und Theologie im Sinne der westlichen scholastischen Vorgehensweise nachhaltig diskreditiert.


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